01 Brasilien 2003-2004

Mittwoch, 31. August 2005

Rückblick Brasilien 20: Mein Bolivianisches Tagebuch

Erster Tag, 12:00
Mit Idan, einem israelischen Offizier, den ich im Pantanal kennen gelernt habe, passiere ich die Grenze nach Bolivien. Die angeblich für die Einreise so wichtige Gelbfieberimpfung, die ich mir kurz zuvor in Corumbá besorgt hatte, interessiert hier niemanden. Viel bedeutsamer ist für die Beamten, dass ich 15 Bolivianos Verwaltungsgebühr abdrücke.

Erster Tag, 12:15
Der berühmte Zug nach Santa Cruz fährt nicht. Liegt es an den sintflutartigen Regenfällen von gestern Nacht, oder ist es doch nur ein Streik? Niemand weiß es genau. Auch nicht, wann mit dem nächsten Zug zu rechnen ist. Einfach morgen noch mal nachfragen.

Erster Tag, 12:30
Schon bald wird sich das kleine Grenzdorf Puerto Quijarro mit Reisenden füllen, die ebenfalls den Zug nehmen wollten. So schnell wie möglich besorgen wir uns ein Hotelzimmer.

Erster Tag, 12:45
Die Idee des Tages kommt uns beim Essen. Warum nicht mit dem Bus? Zwar haben sich mit der Nachricht des ausgefallenen Zuges die Preise für die Fahrkarten verdoppelt, aber die Aussicht, auf unbestimmte Zeit in diesem Kaff festzusitzen, ist so wenig verlockend, dass wir uns trotz aller Warnungen entschließen, den Bus um drei zu nehmen.

Erster Tag, 13:00
Das Hotelzimmer, das eine halbe Stunde unsere Rucksäcke beherbergt hat, zurückzugeben ist unmöglich. Nach harten Verhandlungen einigen wir uns schließlich auf die Hälfte des Preises. Um das Geld nicht ganz umsonst aus dem Fenster zu schmeißen, wird noch einmal ausgiebig geduscht.

Erster Tag, 15:00
Am Busbahnhof stehen vier Busse, die alle nach Santa Cruz fahren. Unser ist mit Abstand der schäbigste. Das Gepäck kommt aufs Dach. Idan traut den Bolivianern nicht und klettert hinterher, um es festzuketten.

Erster Tag, 15:30
Nach und nach setzen sich die Busse in Bewegung. Nur unser nicht. Jemand liegt darunter und schraubt.

Erster Tag, 16:00
Der Bus scheint so weit okay zu sein. Doch nun ist der Fahrer verschwunden. Ein kleiner Junge wird losgeschickt, um ihn zu holen.

Erster Tag, 16:30
Gemächlichen Schrittes nähert sich der Fahrer dem Bus. Die wütenden Fahrgäste lassen ihn völlig kalt. Es kann losgehen.

Erster Tag, 18:00
Die Fahrt führt durch den Gran Chaco. Nach dem großen Regen ist von der Straße nichts weiter übrig geblieben als eine Schneise aus Schlamm und Lehm. Nicht ganz unerwartet bleibt der Bus bei einem Ausweichmanöver stecken. Während wir schieben, ziehen und Matsch schippen, essen uns die Mosquitos zum Abendbrot. Rechtzeitig zum Sonnenuntergang ist der Bus wieder frei.

bolivien-bus-kopie

Erster Tag, 22:00
Nicht nur wir haben Probleme mit dem Schlamm. Auch einen der drei anderen Busse hat es erwischt. Die Passagiere haben die Befreiungsversuche bereits aufgeben und schauen uns mit verzweifelten und flehenden Blicken an, als wir an ihnen vorbeirauschen.

Erster Tag, 23:00
Wir halten in einem kleinen Dorf zum Abendessen. Das wurde auch Zeit. Mein leerer Magen rebelliert bereits. Doch die Auswahl ist begrenzt. Lediglich eine alte Frau verkauft ein paar Fleischspieße vom Grill. Nur nicht an mich, denn sie hat kein Wechselgeld für meinen 20-Bolivianos-Schein (2,50€). In Panik renne ich durchs Dorf. Durch den Kauf einer Coca-Cola in einer völlig abgeranzten Kneipe komme ich zu etwas Kleingeld. Doch inzwischen sind die Fleischspieße ausverkauft. Der Busfahrer lässt den Motor an. Es geht weiter. Verflixt! Idans Kekse mit Erdbeerfüllung retten mich vor dem sicheren Hungertod.

Zweiter Tag, 00:30
Mehrere LKWs sind im Matsch versunken und versperren den Weg. Unser Fahrer inspiziert kurz das Gelände, um dann die Straße zu verlassen und mit einer waghalsigen Fahrt durch die Botanik das Hindernis zu passieren. Für diese Aktion erntet er begeisterten Applaus. Spätestens jetzt haben wir ihm seine Verspätung am Anfang der Fahrt verziehen.

Zweiter Tag, 03:00
Diesmal sind wir es wieder, die stecken bleiben. Ich tue so, als würde ich schlafen, um mich nicht an der Rettungsaktion beteiligen zu müssen. Als ich die Augen nach einer Weile öffne, fährt der Bus bereits wieder.

Zweiter Tag, 6:00
Frühstück in San José de Chiquitos. Der Wirt hat offenbar keine Lust, Essen für uns zu machen, aber lässt sich schließlich doch zu Brötchen mit Ei überreden. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig sein würde, in Bolivien etwas zu essen zu bekommen.
Als wir weiterfahren, steigen drei strohblonde Mennoniten zu. Sie kleiden sich im Stil des vorletzten Jahrhunderts, reden plattdeutsch und sehen aus, als wären ihre Eltern Geschwister gewesen. Wir sind ihnen dankbar für das bisschen Erheiterung auf dieser ansonsten stinklangweiligen Fahrt.

Zweiter Tag, 14:00
Die Straße wird immer besser und ohne weitere Vorkommnisse gelangen wir nach Santa Cruz. Erschöpft und glücklich steigen wir aus dem stinkenden Bus. Wir sind am Ziel. Mit vier Stunden Verspätung zwar, aber am Ziel – im Gegensatz zu zwei anderen Bussen, die Puerto Quijarro vor uns verlassen haben. Wir beschließen hier zu übernachten und morgen früh nach La Paz weiterzufahren.

Zweiter Tag, 14:05
Die Busse nach La Paz fahren nur abends. Idan ist in Eile und auch ich habe keine Lust mehr Zeit als nötig in Santa Cruz zu verbringen. Mit einem leichten Stöhnen in Erwartung einer weiteren Nacht auf der Straße kaufen wir Tickets für 21 Uhr. Wenigstens ist der Bus diesmal von der komfortabelsten Sorte. Und die Verkäuferin die erste hübsche Bolivianerin, die wir gesehen haben.

Zweiter Tag, 16:30
Auf der Plaza Central lasse ich mir meine Schuhe putzen. Das ist dringend notwendig. Der getrocknete Schlamm hat eine betonartige Kruste gebildet und Antonio, ein netter Herr mittleren Alters, braucht eine Viertelstunde um sie zu entfernen. Danach haben meine Schuhe zwar eine komplett andere Farbe – rotbraun statt staubig beige – aber dafür sehen sie auch wie neu gekauft.

Zweiter Tag, 17:00
Ich lasse mir ein Piercing entfernen, das sich nach dem Baden im Pantanal böse entzündet hat. Autsch!

Zweiter Tag, 21:00
Busfahren in Bolivien ist irre kompliziert. Zuerst fehlt uns ein Extraticket zur Benutzung des Busbahnhofs, dann können wir unser Gepäck nicht selbst einladen, sondern müssen es bei der Reiseagentur abgeben, damit die es dann für uns einlädt. Wir hetzen nervös hin und her, um alles rechtzeitig zu erledigen. Unsere Eile ist völlig unangebracht. Als wir schließlich im Bus sitzen, sind da zwar unzählige Verkäufer von jeglichem Schnickschnack (Idan kauft ein Miniradio mit integrierter Taschenlampe), aber kein Fahrer. Der kommt eine halbe Stunde später. Ich schlafe sofort.

Dritter Tag, 05:00
Die Brücke über einen recht breiten Fluss wurde vor Monaten durch starke Regenfälle zerstört. Nun bringen zahlreiche bootähnliche Konstrukte Fahrzeuge und Passagiere getrennt an das andere Ufer. Alles ist erlaubt. Hauptsache es schwimmt. Ein beeindruckendes Schauspiel bei Sonnenaufgang, das ungefähr anderthalb Stunden dauert.

Dritter Tag, 11:00
Je höher wir in die Berge fahren, umso schlechter geht es Idan. Immerhin schafft er es noch, zwei Mal im Schach gegen mich zu gewinnen. Dann entschärft es ihn völlig. Auch die Kokablätter, die er vom Fahrer bekommt, helfen ihm nicht wesentlich. Mir schon.

Dritter Tag, 19:00
Ankunft in La Paz. Die Abfahrt in den Kessel, in dem die höchste Hauptstadt der Welt liegt ist atemberaubend. Die Berghänge sind dicht bebaut und alles erinnert irgendwie an die favelas in Rio.

Dritter Tag, 19:15
Ein Freund hat Idan von einem billigen Hotel im Zentrum erzählt. Und anscheinend nicht nur ihm. Die große Mehrheit der Gäste in dem Hotel sind Israelis. Aushänge und Speisekarten sind auf Hebräisch und es gibt sogar koscheres Essen. Ein kleines Stück gelobtes Land auf 3.600m Höhe.

Dritter Tag, 21:00
Morgen früh geht es weiter nach Chile und alle meine T-Shirts sind dreckig. Glücklicherweise finde ich noch einen offenen Souvenirshop mit einer jedoch sehr begrenzten Auswahl. Ein Che-Guevara-Shirt hatte ich schon mal. Diese Phase ist vorbei. Also entscheide ich mich für das mit der Aufschrift „Kokablätter sind keine Drogen“.

Dritter Tag, 22:00
Idan will in La Paz auf seine Freundin warten. Also verabschiede ich mich von ihm, bevor er ins Bett geht. Kurz darauf wecke ich ihn noch mal, als ich herausfinde, dass es in bolivianischen Hotels kein Toilettenpapier gibt. Israelis sind stets bestens ausgerüstet. Auch für solche Fälle.

Vierter Tag, 07:00
Die Fahrt nach Chile ist ein angenehmer Abschluss meines recht kurzen Bolivienaufenthalts. Vorbei am majestätischen Vulkan Sajama geht es zum wahrscheinlich schönsten Grenzübergang der Welt am Lago Chungará. Die Verwaltungsgebühr für die Ausreise beträgt nur 10 Bolivianos.

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Rückblick Brasilien 19: Alles Scheiße

Um sich beschissen zu fühlen, braucht man keine graue Stadt und schlechtes Wetter. Es geht auch an einem wunderschönen Strand bei strahlender Sonne. Ziemlich gut sogar.
Allerdings sollte man dazu allein sein. Das heißt nicht: Der einzige Mensch weit und breit. Der Strand kann sogar voll mit Touristen sein, so lange sie nur in Cliquen oder besser noch in Pärchen auftreten und auch keinen weiteren zwischenmenschlichen Kontakt wünschen. Nur die wesentlich sozialeren Rucksacktouristen sollte man meiden. Sie könnten einem durch simple Gespräche, so belanglos diese auch sein mögen, die ganze schlechte Laune verderben. Durch die geschickte Wahl des Strandes lässt sich aber die Chance, auf so jemanden zu treffen minimieren. Weiterhin ist es hilfreich, überhöhte Preise für schlechtes Essen zu bezahlen. Und am besten noch ein bisschen extra für den peruanischen Panflötenspieler, der einem mit den schlimmsten Schnulzen aller Zeiten (von „Bridge Over Troubled Water“ bis zum Titanic-Titellied) schon die ganze Zeit auf den Sack gegangen ist. Und wenn es dann noch unmöglich ist, nachts zu schlafen, weil der Ventilator ebenso laut wie wirkungslos ist und weil der Sonnenbrand einen in die unbequemste aller Schlafpositionen zwingt, kann man sich hemmungslos seinen melancholischen Anfällen hingeben. „Was mache ich hier eigentlich? Sollte Reisen nicht eigentlich Spaß machen? Warum tue ich mit das an? Morgen bin ich hier weg!“

Nachwort: Diesen Text bitte nicht überbewerten. Mögliche Schlussfolgerungen, dass es mir öfter oder sogar die ganze Zeit so geht, sind falsch. Dies ist lediglich die Momentaufnahme meines letzten Abends in Morro de São Paulo, bei der ich unter Einfluss mehrerer Biere vielleicht auch ein bisschen übertrieben habe. Meine nächste Station Itacaré war beispielsweise prima, großartig und phantastisch. Ganz ohne jede Übertreibung.

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Rückblick Brasilien 18: Gedankenverloren durch die Stadt treiben

Die Brücke zwischen São Felix und Cachoeira über den Paraguaçu-Fluss. Jeder Schritt ein neuer Adrenalinstoß. Ist das Brett, auf das ich trete, irgendwo festgeschraubt? Ist es morsch? Wird es mich aushalten? Und dann die Autos, die an mir vorüberfahren. Das Krachen und Scheppern ist bemerkenswert. Werde ich es schaffen, die Brücke noch vor ihrem totalen Kollaps zu überqueren?

Was mache ich hier überhaupt? Reisestrategisch macht es keinen Sinn, morgens in Salvador anzukommen und gleich weiterzufahren. Aber ich hatte einfach keine Lust auf Salvador. Mein erster Alternativplan war Lençois. Nurr dorthin gab es gerade keinen Bus…

In Cachoeira betrete ich wieder festen Boden. Die Stadt ist hübsch. Keine störenden modernen Gebäude. Sympathischer Verfall überall. Ich gehe in der Mitte der Straße, um umstürzenden Fassaden rechtzeitig ausweichen zu können.
Und ich merke, dass ich in Bahia angekommen bin. Die wenigen Leute, die ich in der Mittagshitze treffe, haben wesentlich dunklere Haut als in allen anderen Städten zuvor. Während ich im Süden hin und wieder noch als Einheimischer durchging (solange ich nicht den Mund auf gemacht habe), bin ich hier eindeutig der Tourist. Und dazu wahrscheinlich der einzige in der Gegend. Doch das widerum scheint den Leuten ziemlich egal zu sein.

Nach Lençois fahre ich auf jeden Fall auch noch. Das ist ein touristisches Muss. Aber vielleicht sollte ich versuchen, über Nacht zu fahren. So spare ich das Geld für einmal Herberge. Aber dann bekomme ich den sertão nicht zu Gesicht. Gibt es von hier überhaupt einen Bus dorthin?

Laut der Dame am Busbahnhof gibt es keine Verbindung zwischen Cachoeira und Lençois. Aber ich könne ja nach Feira de Santana fahren. Ob es von dort eine Verbindung gibt, weiß sie allerdings nicht. Wie ich es herausfinden kann? Weiß sie auch nicht. Abgesehen davon ist sie sehr nett.

Also wieder zurück nach Salvador. Ich wollte die Stadt ja nicht wirklich auslassen, sondern nur ein bisschen nach hinten verschieben. Vielleicht fahre ich morgen schon. Oder ich warte, bis ich weiß, ob ich bei einem der AIESEC-Leute dort unterkommen kann. Angefragt habe ich schon, nur noch keine Antwort erhalten. Ich sollte mal wieder meine E-Mails checken…

Ich treffe Alder, einen Eisverkäufer mit einem kleinen, gelben Wagen, und stelle mich ihm als ungarischen Journalisten vor. Hin und wieder variiere ich meine Lebensgeschichte, um den small talk ein wenig interessanter zu gestalten. Er zeigt mir das wahrscheinlich bestversteckte Internet-Café der Welt: Ein Atelier für moderne Kunst in einer alten Werkstatt für was auch immer. In der hintersten Ecke sitzt ein Mädchen am Computer und spielt Tetris. Ich entschuldige mich für die Störung, aber da das Internet nicht funktioniert, kann sie sofort weiterspielen. Die anderen drei Internet-Cafés, die ich im Laufe des Tages finde, haben übrigens das selbe Problem.

Die Strände Morro de São Paulo und Itacaré. Die sind gefährlich. Denn nach dem, was ich gehört habe, kann man dort leicht für längere Zeit versacken. Und das würde meinen Zeitplan total durcheinanderhauen. Vielleicht sollte ich mich auf einen der beiden Strände beschränken. Aber welchen? Knifflige Entscheidung.

Der einzige unsympathische Bewohner Cachoeiras läuft mir über den Weg. Antônio, ein schmieriger Touristenführer, der mit heute morgen meine Herberge aufgeschwatzt hat. Jetzt ist wohl die Stadtführung fällig, die ich vorhin nur unter Anwendung mehrerer Notlügen abwenden konnte. Doch Antônio kommt vom Baden im Fluss, hat seine Familie dabei und entschuldigt sich, dass er gerade keine Zeit für die Führung hat. Eines seiner Kinder klaut ihm die Tasche. Er verabschiedet sich kurz von mir und rennt hinterher.

Als begeisterter Leser von Jorge Amado ist Ilhéus natürlich Pflicht. Und dann ist es auch schon Zeit, Bahia wieder zu verlassen. Felix ist nur noch bis zum 20. Februar in Belo Horizonte. Und kurz darauf beginnt auch schon der Karneval…

Es ist bereits Abend. Ich sitze auf der Terrasse meiner Herberge in São Felix, blicke über den Fluss auf Cachoeira und trinke eine Caipirinha. Der Mond ist fast voll. Bei mir dauerts bestimmt noch ein bisschen. Mehrfach stelle ich Rechnungen auf, wieviel Tage ich wo bleibe und immer komme ich auf das selbe Ergebnis: Es wird knapp. Ich habe das Gefühl, dass ich irgendwie in Eile bin. Und mit diesem Gefühl bin ich hier mit Sicherheit allein.

Rückblick Brasilien 17: Wirbelsäule mit Vogelköpfen

Abgesehen von ein wenig Altstadt schien sich Recife ohne weiteres in die Reihe der unspektakulären Großstädte des Nordostens einzuordnen. Zumindest bis ich in der Absicht, ein wenig Zeit bis zu meiner Weiterfahrt nach Salvador totzuschlagen, die Anlage einer alten Keramikfabrik betrat.
Sie war beileibe nicht einfach zu finden. Weder die Touri-Info noch der Taxifahrer, wussten genau, wo sie sich befand. Und so irrten wir eine Weile durch heruntergekommene Vorstädte und durch den Wald, bis wir schließlich eine seltsame Statue inmitten eines kleinen Sees fanden. Und gleich hinter der nächsten Kurve war sie: Die Oficina Brennand.
Der Künstler Francisco Brennand hatte die Fabrik von seinem Vater geerbt und nach seiner Rückkehr aus Europa eine Art Skulpturenpark um sie herum angelegt. Ich hatte ja vieles vom brasilianischen Nordosten erwartet. Das nicht. Das hier erinnerte eher an das Barcelona von Gaudi.
Säulengänge. Ein kleiner Tempel. Springbrunnen. Teiche mit schwarzen Schwänen. Und überall Brennands Keramikstatuen. Wirbelsäulen mit Vogelköpfen. Sphinxen. Ein trojanisches Pferd. Menschliche Körper und Gesichter - verzerrt bis ins Lächerliche. Eidechsen, die aus ihren Eiern schlüpfen. Gürteltiere. Andere Tiere. Organische Formen, die an Geschlechtsteile erinnerten. Oder sie explizit darstellten. In einem Haus waren Brennands Gemälde und Zeichnungen ausgestellt. In einem anderen ein schier unerschöpfliches Arsenal an Plastiken, die es nicht in den Park geschafft hatten.
Überraschend war vor allem, dass wir fast die einzigen Besucher an diesem fantastischen Ort waren. Außer uns trieb sich hier lediglich eine Gruppe brasilianischer Jugendlicher herum. Nach der Art zu urteilen, wie sie professionell über den Rasen robbten, um das perfekte Foto zu schießen, wahrscheinlich Kunststudenten. Und schließlich noch der Künstler selbst. Ein Riese mit weißem Rauschebart. Er kam auf uns zu und fragte, ob er ein Foto mit uns machen könne. Mit unseren Kameras natürlich.

pferd recife

Rückblick Brasilien 16: Der Morgen danach

Ich stecke meinen schmerzenden Kopf aus der Herberge und stutze. Der Platz vor der Kirche, wo man sich gestern nacht noch seinen Weg durch die Menschenmassen kämpfen musste, ist völlig leer. Und sauber. Wie haben sie das gemacht? Und vor allem wann? Geradezu unheimlich.
Auch die Caipirinha-Buden auf der Hauptstraße sind verschwunden. Statt tanzender Mädchen winken mir von dort nun ein paar Touri-Führer zu. Stadtführung? Nö. Ansonsten ist die Stadt ausgestorben. Wo sind nur die fröhlichen Menschen hin? Wahrscheinlich geht es ihnen allen gerade genau so dreckig wie mir.
Ich blicke den Hügel hinauf und erinnere mich an die schäbige Bar mit dem grandiosen Blick über Olinda und der ohrenbetäubenden Trommelmusik. Die Band spielt immer noch in meinem Kopf. Ansonsten ist es totenstill.
Ich beschließe eine Aspirin zu schlucken und dann in den Pool zu springen. Ich darf mich nicht so hängen lassen. Ich muss härter werden. Schließlich war das noch nicht der richtige Karneval sondern gerade mal eine von mehreren Proben.

strasse olinda

Rückblick Brasilien 15: Regenzeit

Vor ein paar Jahren startete die Stadt Fortaleza eine Initiative, um den Tourismus anzukurbeln: Die Sonnenversicherung. Für jeden Tag an dem die Sonne nicht schien, bekam der Besucher einen Tag extra im Hotel. Kostenlos. Seitdem hat sich die Stadt zur Tourismus-Hochburg entwickelt und die Versicherung konnte irgendwann wieder abgeschafft werden.
Glück gehabt, würde ich sagen. Denn würde die Versicherung immer noch existieren, wäre Fortaleza nach diesem Sommer wahrscheinlich so pleite wie Berlin.
Tatsächlich hat es, seit ich hier im Nordosten bin, jeden Tag geregnet. Und das nicht gerade wenig. Und jeden Tag versichert mir ein Einheimischer, dass es nicht normal ist. Ich glaube ihnen.
Der sertão im Landesinneren hat sogar den Ruf, einer der trockensten Flecken dieser Erde zu sein. Nach langenhaltenden Dürreperioden zieht es immer mehr Menschen von dort in die Städte, weil das Land sie nicht mehr ernähren kann. Und diejenigen, die geblieben sind, werden jetzt vom Regen hinterhergespült.
Schon blöd, so 'ne Klimakatastrophe.

Rückblick Brasilien 14: In den Händen eines Verrückten

"Com emoção ou sem emoção?" - "Mit oder ohne Emotion?"
Diese Frage bekommt man wohl üblicherweise gestellt, bevor man mit einem Buggy - einem kleinen, geländetauglichen Plastikauto - in die Dünen bei Natal fährt. Unser Fahrer fragt nicht. Wahrscheinlich setzt er voraus, das wir soviel Emotion wie möglich wollen.
Na gut. Vorerst fährt er nur gemütlich durch die Landschaft, über Hügel aus weichem gelben Sand, vorbei an ein paar Büschen und niedrigen Bäumen. Er erzählt uns etwas von Flugzeugen, die dort hinten irgendwo - wwooooaaaahhhh!
Verdammt. Er hat uns nur abgelenkt, um dann völlig unangekündigt einen zehn Meter hohen und gefährlich steilen Abhang hinunterzurasen. Diese Schweinebacke! 1:0 für ihn. Doch noch mal trickst er uns nicht aus. Ab sofort sind wir auf alles gefasst. Glauben wir zumindest...
Die Dünen werden höher. Seine Stunts waghalsiger. Er bringt den Wagen ins Schleudern. Bei den Abfahrten stellt er sich quer und schlittert seitwärts den Berg hinunter, so dass man das Gefühl hat, der Buggy würde sich jeden Moment überschlagen. Hindernissen weicht er grundsätzlich erst im allerletzten Moment aus. Er fährt Dünen hinauf und wendet in der Vertikalen. Oder schlimmer: Er wendet nicht und fährt rückwärts wieder runter.
Im Prinzip ist es wie Achterbahn. Nur mit dem Unterschied, dass man bei einer Achterbahnfahrt durch den Verlauf der Schienen genau weiß, was als nächstes passieren wird. Mit diesem Freak am Steuer muss man dagegen mit allem rechnen. Zum Beispiel könnte er den großen Berg dort... Aber das macht er bestimmt nicht... Oh, doch. Er macht es... Und er stellt sich wieder quer...
AAAAAAAAAAHHHHHHHHHH!!!!!!!!!

natal-buggyfahrer

Rückblick Brasilien 13: Familienglück

Brasilianer halten Gastfreundschaft für eine der wesentlichen Eigenschaften, die sie von Europäern und Nordamerikanern unterscheidet. Und so ist es für sie selbstverständlich, Einladungen aller Art auszusprechen, für den Fall, dass man mal in ihrer Stadt vorbeikommt.
Nur rechnen sie nicht wirklich damit, dass man irgendwann tatsächlich vor ihrer Tür steht. In meinem Fall eine fatale Fehlannahme.
Nachdem aber die erste Überraschung über den unerwarteten Gast vorüber ist, wird sich kräftig für ihn ins Zeug gelegt. Das gehört zum brasilianischen Selbstverständnis. Und da die Leute, die mich einladen im Prinzip alle bei ihren Eltern wohnen, wird die ganze Familie in die Rundumbetreuung miteinbezogen. Diese beinhaltet alles, was das Touristenherz begehrt: Unterkunft mit Vollpension (meist exzellente Küche), Shuttle-Service zum Busbahnhof bzw. Flughafen, Stadtführung, abendliches Partyprogramm, Wäscheservice und Internetzugang. Etwas davon abzulehnen, wäre zutiefst unhöflich (bilde ich mir zumindest ein). Hin und wieder leidet zwar die eigene Bewegungsfreiheit darunter, aber die Annehmlichkeiten überwiegen bei weitem. Ganz zu schweigen von dem netten Nebeneffekt, dass das Reisebudget geschont wird.
In den letzten beiden Wochen hatte ich enormes Glück und bin gleich bei drei Familien hintereinander untergekommen: Bei Schnaider in Foz do Iguaçu, bei Rafael in Curitiba und zuletzt bei Daniele und ihrer Schwester Rebecca in Fortaleza. Ich habe die Zeit genossen und bin extrem dankbar. Allerdings ist damit nun vorerst Schluss, denn auf meiner weiteren Reiseroute durch den Nordosten kenne ich niemanden. Abgesehen von Daniel in Recife. Aber der wohnt, soweit ich weiß, in einer Kaserne.

curitiba-vater-und-sohn-kop

Rückblick Brasilien 12: Hässliche Häuser

Das Problem bei unserer kleinen spontanen Stadtrundfahrt bestand vor allem darin, dass meine einheimischen Führer nicht so richtig wussten, was sie mir in Fortaleza zeigen sollten. Dennoch mangelte es nicht an Enthusiasmus.
Als wir an der Praça da Ferreira einen typischen Imbiss - pastel de queijo und caldo de cana - zu uns nahmen, zeigte mir Rebecca voller Stolz die historischen Fotos, die in dem Lokal an der Wand hingen. Darauf war die Praça da Ferreira im Wandel der Zeit zu sehen. Der Turm mit der Uhr. Das Rathaus. Das erste Kino der Stadt.
Rebeccas Erklärungen zu den Fotos waren identisch mit den Bildunterschriften. Aber sie war voll bei der Sache.
"Das war ja wirklich mal ein schöner Platz.", lautete mein abschließender Kommentar. Sie nickte zustimmend.
"Was ist passiert?"
Sie schaute mich fragend an.
"Ich meine, wo sind die ganzen alten Gebäude hin? Hattet ihr ein großes Feuer oder eine andere Katastrophe?" - "Ach so. Ich nehme an, die wurden einfach abgerissen."
Ich hatte die Antwort zwar irgendwie erwartet, aber geschockt war ich trotzdem. "Was? Die wurden einfach abgerissen und dann durch so was ersetzt?" Ich zeigte auf ein einstöckiges Fast-Food-Restaurant, das wegen seiner Wellblechverkleidung aber eher an eine Fabrikhalle erinnerte. Eigentlich hätte ich aber auch in jede andere Richtung zeigen können, denn hässliche Häuser gab es hier mehr als genug.
Rebecca war meine Kritik sichtlich unangenehm. In Windeseile wechselten wir das Thema. Ich muss lernen, taktvoller im Umgang mit Lokalpatrioten zu sein.

Rückblick Brasilien 11: Ich gebe auf

Die Iguaçu-Wasserfälle.
Gewaltige Wassermassen stürzen in die Tiefe und machen dabei mächtig Krach. Bei dem Versuch meine Eindrücke von diesem Spektakel zu schildern, sind drei Texte entstanden. Leicht verkrampfte Naturbeschreibungen ("...ein allgewärtiger Regenbogen..." und so weiter) und pseudopsychologisches Gelaber ("Man fühlt sich so unbedeutend.").
Ich habe die Texte alle wieder vernichtet. Nichts von dem, was ich in der Lage bin zu schreiben, wird dem gerecht, was ich gesehen habe. Ich schlage vor, ihr schaut euch das Ganze einfach selbst an.

iguacu-regenbogen-kopie
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