Rückblick Brasilien 18: Gedankenverloren durch die Stadt treiben

Die Brücke zwischen São Felix und Cachoeira über den Paraguaçu-Fluss. Jeder Schritt ein neuer Adrenalinstoß. Ist das Brett, auf das ich trete, irgendwo festgeschraubt? Ist es morsch? Wird es mich aushalten? Und dann die Autos, die an mir vorüberfahren. Das Krachen und Scheppern ist bemerkenswert. Werde ich es schaffen, die Brücke noch vor ihrem totalen Kollaps zu überqueren?

Was mache ich hier überhaupt? Reisestrategisch macht es keinen Sinn, morgens in Salvador anzukommen und gleich weiterzufahren. Aber ich hatte einfach keine Lust auf Salvador. Mein erster Alternativplan war Lençois. Nurr dorthin gab es gerade keinen Bus…

In Cachoeira betrete ich wieder festen Boden. Die Stadt ist hübsch. Keine störenden modernen Gebäude. Sympathischer Verfall überall. Ich gehe in der Mitte der Straße, um umstürzenden Fassaden rechtzeitig ausweichen zu können.
Und ich merke, dass ich in Bahia angekommen bin. Die wenigen Leute, die ich in der Mittagshitze treffe, haben wesentlich dunklere Haut als in allen anderen Städten zuvor. Während ich im Süden hin und wieder noch als Einheimischer durchging (solange ich nicht den Mund auf gemacht habe), bin ich hier eindeutig der Tourist. Und dazu wahrscheinlich der einzige in der Gegend. Doch das widerum scheint den Leuten ziemlich egal zu sein.

Nach Lençois fahre ich auf jeden Fall auch noch. Das ist ein touristisches Muss. Aber vielleicht sollte ich versuchen, über Nacht zu fahren. So spare ich das Geld für einmal Herberge. Aber dann bekomme ich den sertão nicht zu Gesicht. Gibt es von hier überhaupt einen Bus dorthin?

Laut der Dame am Busbahnhof gibt es keine Verbindung zwischen Cachoeira und Lençois. Aber ich könne ja nach Feira de Santana fahren. Ob es von dort eine Verbindung gibt, weiß sie allerdings nicht. Wie ich es herausfinden kann? Weiß sie auch nicht. Abgesehen davon ist sie sehr nett.

Also wieder zurück nach Salvador. Ich wollte die Stadt ja nicht wirklich auslassen, sondern nur ein bisschen nach hinten verschieben. Vielleicht fahre ich morgen schon. Oder ich warte, bis ich weiß, ob ich bei einem der AIESEC-Leute dort unterkommen kann. Angefragt habe ich schon, nur noch keine Antwort erhalten. Ich sollte mal wieder meine E-Mails checken…

Ich treffe Alder, einen Eisverkäufer mit einem kleinen, gelben Wagen, und stelle mich ihm als ungarischen Journalisten vor. Hin und wieder variiere ich meine Lebensgeschichte, um den small talk ein wenig interessanter zu gestalten. Er zeigt mir das wahrscheinlich bestversteckte Internet-Café der Welt: Ein Atelier für moderne Kunst in einer alten Werkstatt für was auch immer. In der hintersten Ecke sitzt ein Mädchen am Computer und spielt Tetris. Ich entschuldige mich für die Störung, aber da das Internet nicht funktioniert, kann sie sofort weiterspielen. Die anderen drei Internet-Cafés, die ich im Laufe des Tages finde, haben übrigens das selbe Problem.

Die Strände Morro de São Paulo und Itacaré. Die sind gefährlich. Denn nach dem, was ich gehört habe, kann man dort leicht für längere Zeit versacken. Und das würde meinen Zeitplan total durcheinanderhauen. Vielleicht sollte ich mich auf einen der beiden Strände beschränken. Aber welchen? Knifflige Entscheidung.

Der einzige unsympathische Bewohner Cachoeiras läuft mir über den Weg. Antônio, ein schmieriger Touristenführer, der mit heute morgen meine Herberge aufgeschwatzt hat. Jetzt ist wohl die Stadtführung fällig, die ich vorhin nur unter Anwendung mehrerer Notlügen abwenden konnte. Doch Antônio kommt vom Baden im Fluss, hat seine Familie dabei und entschuldigt sich, dass er gerade keine Zeit für die Führung hat. Eines seiner Kinder klaut ihm die Tasche. Er verabschiedet sich kurz von mir und rennt hinterher.

Als begeisterter Leser von Jorge Amado ist Ilhéus natürlich Pflicht. Und dann ist es auch schon Zeit, Bahia wieder zu verlassen. Felix ist nur noch bis zum 20. Februar in Belo Horizonte. Und kurz darauf beginnt auch schon der Karneval…

Es ist bereits Abend. Ich sitze auf der Terrasse meiner Herberge in São Felix, blicke über den Fluss auf Cachoeira und trinke eine Caipirinha. Der Mond ist fast voll. Bei mir dauerts bestimmt noch ein bisschen. Mehrfach stelle ich Rechnungen auf, wieviel Tage ich wo bleibe und immer komme ich auf das selbe Ergebnis: Es wird knapp. Ich habe das Gefühl, dass ich irgendwie in Eile bin. Und mit diesem Gefühl bin ich hier mit Sicherheit allein.

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