Rückblick Brasilien 20: Mein Bolivianisches Tagebuch

Erster Tag, 12:00
Mit Idan, einem israelischen Offizier, den ich im Pantanal kennen gelernt habe, passiere ich die Grenze nach Bolivien. Die angeblich für die Einreise so wichtige Gelbfieberimpfung, die ich mir kurz zuvor in Corumbá besorgt hatte, interessiert hier niemanden. Viel bedeutsamer ist für die Beamten, dass ich 15 Bolivianos Verwaltungsgebühr abdrücke.

Erster Tag, 12:15
Der berühmte Zug nach Santa Cruz fährt nicht. Liegt es an den sintflutartigen Regenfällen von gestern Nacht, oder ist es doch nur ein Streik? Niemand weiß es genau. Auch nicht, wann mit dem nächsten Zug zu rechnen ist. Einfach morgen noch mal nachfragen.

Erster Tag, 12:30
Schon bald wird sich das kleine Grenzdorf Puerto Quijarro mit Reisenden füllen, die ebenfalls den Zug nehmen wollten. So schnell wie möglich besorgen wir uns ein Hotelzimmer.

Erster Tag, 12:45
Die Idee des Tages kommt uns beim Essen. Warum nicht mit dem Bus? Zwar haben sich mit der Nachricht des ausgefallenen Zuges die Preise für die Fahrkarten verdoppelt, aber die Aussicht, auf unbestimmte Zeit in diesem Kaff festzusitzen, ist so wenig verlockend, dass wir uns trotz aller Warnungen entschließen, den Bus um drei zu nehmen.

Erster Tag, 13:00
Das Hotelzimmer, das eine halbe Stunde unsere Rucksäcke beherbergt hat, zurückzugeben ist unmöglich. Nach harten Verhandlungen einigen wir uns schließlich auf die Hälfte des Preises. Um das Geld nicht ganz umsonst aus dem Fenster zu schmeißen, wird noch einmal ausgiebig geduscht.

Erster Tag, 15:00
Am Busbahnhof stehen vier Busse, die alle nach Santa Cruz fahren. Unser ist mit Abstand der schäbigste. Das Gepäck kommt aufs Dach. Idan traut den Bolivianern nicht und klettert hinterher, um es festzuketten.

Erster Tag, 15:30
Nach und nach setzen sich die Busse in Bewegung. Nur unser nicht. Jemand liegt darunter und schraubt.

Erster Tag, 16:00
Der Bus scheint so weit okay zu sein. Doch nun ist der Fahrer verschwunden. Ein kleiner Junge wird losgeschickt, um ihn zu holen.

Erster Tag, 16:30
Gemächlichen Schrittes nähert sich der Fahrer dem Bus. Die wütenden Fahrgäste lassen ihn völlig kalt. Es kann losgehen.

Erster Tag, 18:00
Die Fahrt führt durch den Gran Chaco. Nach dem großen Regen ist von der Straße nichts weiter übrig geblieben als eine Schneise aus Schlamm und Lehm. Nicht ganz unerwartet bleibt der Bus bei einem Ausweichmanöver stecken. Während wir schieben, ziehen und Matsch schippen, essen uns die Mosquitos zum Abendbrot. Rechtzeitig zum Sonnenuntergang ist der Bus wieder frei.

bolivien-bus-kopie

Erster Tag, 22:00
Nicht nur wir haben Probleme mit dem Schlamm. Auch einen der drei anderen Busse hat es erwischt. Die Passagiere haben die Befreiungsversuche bereits aufgeben und schauen uns mit verzweifelten und flehenden Blicken an, als wir an ihnen vorbeirauschen.

Erster Tag, 23:00
Wir halten in einem kleinen Dorf zum Abendessen. Das wurde auch Zeit. Mein leerer Magen rebelliert bereits. Doch die Auswahl ist begrenzt. Lediglich eine alte Frau verkauft ein paar Fleischspieße vom Grill. Nur nicht an mich, denn sie hat kein Wechselgeld für meinen 20-Bolivianos-Schein (2,50€). In Panik renne ich durchs Dorf. Durch den Kauf einer Coca-Cola in einer völlig abgeranzten Kneipe komme ich zu etwas Kleingeld. Doch inzwischen sind die Fleischspieße ausverkauft. Der Busfahrer lässt den Motor an. Es geht weiter. Verflixt! Idans Kekse mit Erdbeerfüllung retten mich vor dem sicheren Hungertod.

Zweiter Tag, 00:30
Mehrere LKWs sind im Matsch versunken und versperren den Weg. Unser Fahrer inspiziert kurz das Gelände, um dann die Straße zu verlassen und mit einer waghalsigen Fahrt durch die Botanik das Hindernis zu passieren. Für diese Aktion erntet er begeisterten Applaus. Spätestens jetzt haben wir ihm seine Verspätung am Anfang der Fahrt verziehen.

Zweiter Tag, 03:00
Diesmal sind wir es wieder, die stecken bleiben. Ich tue so, als würde ich schlafen, um mich nicht an der Rettungsaktion beteiligen zu müssen. Als ich die Augen nach einer Weile öffne, fährt der Bus bereits wieder.

Zweiter Tag, 6:00
Frühstück in San José de Chiquitos. Der Wirt hat offenbar keine Lust, Essen für uns zu machen, aber lässt sich schließlich doch zu Brötchen mit Ei überreden. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig sein würde, in Bolivien etwas zu essen zu bekommen.
Als wir weiterfahren, steigen drei strohblonde Mennoniten zu. Sie kleiden sich im Stil des vorletzten Jahrhunderts, reden plattdeutsch und sehen aus, als wären ihre Eltern Geschwister gewesen. Wir sind ihnen dankbar für das bisschen Erheiterung auf dieser ansonsten stinklangweiligen Fahrt.

Zweiter Tag, 14:00
Die Straße wird immer besser und ohne weitere Vorkommnisse gelangen wir nach Santa Cruz. Erschöpft und glücklich steigen wir aus dem stinkenden Bus. Wir sind am Ziel. Mit vier Stunden Verspätung zwar, aber am Ziel – im Gegensatz zu zwei anderen Bussen, die Puerto Quijarro vor uns verlassen haben. Wir beschließen hier zu übernachten und morgen früh nach La Paz weiterzufahren.

Zweiter Tag, 14:05
Die Busse nach La Paz fahren nur abends. Idan ist in Eile und auch ich habe keine Lust mehr Zeit als nötig in Santa Cruz zu verbringen. Mit einem leichten Stöhnen in Erwartung einer weiteren Nacht auf der Straße kaufen wir Tickets für 21 Uhr. Wenigstens ist der Bus diesmal von der komfortabelsten Sorte. Und die Verkäuferin die erste hübsche Bolivianerin, die wir gesehen haben.

Zweiter Tag, 16:30
Auf der Plaza Central lasse ich mir meine Schuhe putzen. Das ist dringend notwendig. Der getrocknete Schlamm hat eine betonartige Kruste gebildet und Antonio, ein netter Herr mittleren Alters, braucht eine Viertelstunde um sie zu entfernen. Danach haben meine Schuhe zwar eine komplett andere Farbe – rotbraun statt staubig beige – aber dafür sehen sie auch wie neu gekauft.

Zweiter Tag, 17:00
Ich lasse mir ein Piercing entfernen, das sich nach dem Baden im Pantanal böse entzündet hat. Autsch!

Zweiter Tag, 21:00
Busfahren in Bolivien ist irre kompliziert. Zuerst fehlt uns ein Extraticket zur Benutzung des Busbahnhofs, dann können wir unser Gepäck nicht selbst einladen, sondern müssen es bei der Reiseagentur abgeben, damit die es dann für uns einlädt. Wir hetzen nervös hin und her, um alles rechtzeitig zu erledigen. Unsere Eile ist völlig unangebracht. Als wir schließlich im Bus sitzen, sind da zwar unzählige Verkäufer von jeglichem Schnickschnack (Idan kauft ein Miniradio mit integrierter Taschenlampe), aber kein Fahrer. Der kommt eine halbe Stunde später. Ich schlafe sofort.

Dritter Tag, 05:00
Die Brücke über einen recht breiten Fluss wurde vor Monaten durch starke Regenfälle zerstört. Nun bringen zahlreiche bootähnliche Konstrukte Fahrzeuge und Passagiere getrennt an das andere Ufer. Alles ist erlaubt. Hauptsache es schwimmt. Ein beeindruckendes Schauspiel bei Sonnenaufgang, das ungefähr anderthalb Stunden dauert.

Dritter Tag, 11:00
Je höher wir in die Berge fahren, umso schlechter geht es Idan. Immerhin schafft er es noch, zwei Mal im Schach gegen mich zu gewinnen. Dann entschärft es ihn völlig. Auch die Kokablätter, die er vom Fahrer bekommt, helfen ihm nicht wesentlich. Mir schon.

Dritter Tag, 19:00
Ankunft in La Paz. Die Abfahrt in den Kessel, in dem die höchste Hauptstadt der Welt liegt ist atemberaubend. Die Berghänge sind dicht bebaut und alles erinnert irgendwie an die favelas in Rio.

Dritter Tag, 19:15
Ein Freund hat Idan von einem billigen Hotel im Zentrum erzählt. Und anscheinend nicht nur ihm. Die große Mehrheit der Gäste in dem Hotel sind Israelis. Aushänge und Speisekarten sind auf Hebräisch und es gibt sogar koscheres Essen. Ein kleines Stück gelobtes Land auf 3.600m Höhe.

Dritter Tag, 21:00
Morgen früh geht es weiter nach Chile und alle meine T-Shirts sind dreckig. Glücklicherweise finde ich noch einen offenen Souvenirshop mit einer jedoch sehr begrenzten Auswahl. Ein Che-Guevara-Shirt hatte ich schon mal. Diese Phase ist vorbei. Also entscheide ich mich für das mit der Aufschrift „Kokablätter sind keine Drogen“.

Dritter Tag, 22:00
Idan will in La Paz auf seine Freundin warten. Also verabschiede ich mich von ihm, bevor er ins Bett geht. Kurz darauf wecke ich ihn noch mal, als ich herausfinde, dass es in bolivianischen Hotels kein Toilettenpapier gibt. Israelis sind stets bestens ausgerüstet. Auch für solche Fälle.

Vierter Tag, 07:00
Die Fahrt nach Chile ist ein angenehmer Abschluss meines recht kurzen Bolivienaufenthalts. Vorbei am majestätischen Vulkan Sajama geht es zum wahrscheinlich schönsten Grenzübergang der Welt am Lago Chungará. Die Verwaltungsgebühr für die Ausreise beträgt nur 10 Bolivianos.

bolivien-lago-chungara-kopi
Barbara (Gast) - 26. Okt, 15:42

vielleicht die einzige möglichkeit dich zu erreichen. im netz findet man ja alles. warte auf nachrichten aus spanien :-)

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